Offener Brief von Basisorganisationen aus dem Bezirksverband Berlin III an die Delegierten der 1. Tagung des 8. Parteitages der PDS


Am Dienstag, den 0l .10.2002 tagten die BOen rund um den Kollwitzplatz zum Thema Wahlniederlage.  Dabei ging es um Ursachenforschung und um die weiteren Notwendigkeiten für neue Akzeptanz und politische Inhalte unserer zukünftigen Arbeit.
Wir stützen uns bei unserer Analyse auch auf die Arbeit eines unserer Genossen, der in seiner täglichen Arbeit viel mit jungen Menschen zu tun hat, und es sich zur Aufgabe gemacht hat, im Vorfeld der Wahl mit diesen über ihre Ansichten zur POS und ihr Wahlverhalten zu diskutieren.

Bezüglich der Ursachen wurde folgendes festgestellt:

1. Die Aussagen unserer Partei im Wahlkampf waren viel zu beliebig. Eine strikte Abgrenzung zu sozialdemokratischen Positionen fand nicht statt. Klare sozialistische Politik wurde nicht vertreten.

2. Die Darstellung in der Öffentlichkeit war sehr mangelhaft. Das betrifft sowohl schlechte Wahlplakate als auch politisch untaugliche Losungen wie z.B. "Das Leben ist (d)eine Party".

3. Der Wahlkampf wurde von Selbstzufriedenheit und Siegessicherheit beherrscht. Ein wirklicher Kampf um die Wähler fand nicht statt.

4. Völlig überflüssig wurde ein Richtungswahlkampf betrieben (Stoiber verhindern). Dabei war es bezüglich der die Menschen bewegenden Themen wie Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit in keiner Weise notwendig, sich auf einen bestimmten Politiker zu fixieren, da die Ursachen dafür nicht personenbedingt, sondern systemimmanent sind.

5. Die Auswahl der Direktkandidaten für die einzelnen Wahlkreise war sehr unglücklich. Warum ist beispielsweise Petra Pan nicht in ihrem ehemaligen Wahlkreis Prenzlauer Berg angetreten?

6. Inhaltliche Positionen der PDS treten im öffentlichen Bewusstsein immer noch zu stark gegenüber der Darstellung prominenter Personen zurück . Daher hatte der Rücktritt Gregor Gysis einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf das Wahlverhalten.

7. Hinzu kamen sehr fragwürdige Verhaltensweisen und Aussagen von Spitzenpolitikern der Partei wie der Brief von Andre Brie und Gregor Gysi sowie das Auftreten von Roland Claus (z.B. beim Bush-Besuch) und Dietmar Bartsch in seiner Ämterhäufung als Bundesgeschäftsführer, MdB und Wahlkampfleiter.

8. Es herrschte Konsens darüber, dass die Wahlniederlage vor allem daraus resultiert, dass die PDS soziale und sozialistische Positionen aufgegeben hat. Das zeigt sich insbesondere darin, dass die größten Stimmverluste dort auftraten, wo die PDS in den Regierungen sitzt bzw. ein Tolerierungsmodell mittrug. Für Berlin zeigte sich das insbesondere darin, dass die Politik der PDS im Senat von Berlin keinen oder kaum Widerstand gegen unsoziale Sparmaßnahmen, gewerkschaftsfeindliche Tarifpolitik oder ökologisch unsinnige Großprojekte (z.B. Großflughafen Schönefeld) erkennen lässt.

Hinsichtlich der weiteren Erfordernisse kamen wir zu folgenden Schlussfolgerungen:

1. Die PDS muss sich wieder auf ihre Positionen zu gesellschaftlicher Erneuerung und sozialer Gerechtigkeit besinnen und muss diese nach außen hin konsequent vertreten, auch wenn sie dadurch kein akzeptabler Partner für Regierungskoalitionen ist. Für die Beteiligung an Regierungen muss es klare Grundsätze geben. Inhalte dürfen nicht zugunsten von Regierungsbeteiligungen aufgegeben werden. Welche das sind, muss im Vorfeldklar definiert werden.

2. Dazu ist es notwendig,. auch auf theoretischem Gebiet aufzuholen und ein tragfähiges Gesellschaftskonzept zu entwickeln. Jedoch ist diese Aufgabe längerfristig zu sehen. Eine Lösung dafür auf dem Geraer Parteitag ist nicht realistisch und auch nicht anzustreben,

3. Es sind klare Aussagen zu wichtigen Tagesthemen wie Arbeitslosigkeit, Einwanderung, Globalisierung und Ökologie zu treffen. Themen, die bisher von der PDS gar nicht oder nur am Rande besetzt wurden, wie der sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft müssen größeren Raum gewinnen.

4. Der Zusammenhang zwischen Friedenserhaltung und Entwicklungspolitik muss stärker in der öffentlichen politischen Argumentation und in der politischen Arbeit aufgegriffen werden.

5. Die Basisdemokratie muss wiederhergestellt werden.. Genossen anderer Meinung dürfen nicht diskreditiert werden, und die Meinung der Genossen an der Basis muss wieder Grundlage für Entscheidungen auf allen Ebenen sein.

6 Die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen muss verstärkt werden. Daraus ist ein großes Potential neuer Inhalte und Betätigungsmöglichkeiten zu erwarten.

7. Die PDS muss weiterhin als linke Alternative mit bundesweitern politischen Anspruch kenntlich sein. Daher sind die westlichen Landesverbände entsprechend stärker politisch zu unterstützen. Die bundesweite Bedeutung des Kampfes gegen Sozialabbau im Osten ist noch stärker hervorzuheben.

8. Die Vorstandsmitglieder und Mandatsträger, die in besonderem Maße Verantwortung für die o.g. fehlerhafte Strategie trugen, sollten nicht in den neuen Vorstand. gewählt bzw. wiedergewählt werden. Insbesondere sollte Genosse Dietmar Bartsch nicht weiter als Bundesgeschäftsführer fungieren.
Genossin Petra Pau wird als eine der beiden Bundestagsabgeordneten der POS durch
die parlamentarische Arbeit, die bisher von einer 36-köpfigen Fraktion geleistet wurde, dermaßen beansprucht sein, dass sie keine weitere leitende Funktion in gewählten Parteigremien ausfüllen kann.

BO Kollwitzplatz
ViSdP Michael Celner
030 4411727